Weihnachten, vielleicht…

Predigt am 25.12.2021

Weihnachten, vielleicht….

Den Mut der Hirten haben
einfach aufstehen und losgehen
nur weil abenteuerliche Gestalten
mitten in der Nacht
vom Frieden auf Erden reden

– es könnte doch immerhin sein,
dass wir ein Teil dieses Friedens werden

Die Sehnsucht der Könige haben
weiter und immer weiter ziehen
durch Wüsten und übers Gebirge
nur einem Stern hinterher
der heller leuchtet als andere
und sich ins Herz brannte

– es könnte doch immerhin sein,
dass wir ankommen an heiligem Ort

Die Freiheit der Maria haben
ja zu sagen zum Leben und zum Licht
das zur Welt kommen will
gegen alle Konventionen
und gegen die Sicherheiten der festen Ordnung

– es könnte doch immerhin sein
dass dieses Kind der Träumer einer neuen Welt wird

Die Liebe der Menschen haben
die ihren letzten Stall gaben
gegen die Kälte der Nacht und der Welt
nur weil sie mitfühlten mit der Familie
ohne wärmendes Dach

– es könnte doch immerhin sein
dass uns letztlich das wärmt, was wir gaben.

Weihnachten ist vielleicht das Wagnis
das Andere zu träumen und zu glauben
und die Hoffnung nicht aufzugeben
in der dunkelsten Nacht.

(Aus: Friederike Hempel, Du dunkles Licht, Echter Verlag Würzburg 2021)

Eigentlich wollte ich heute über die Hoffnung predigen. Denn Hoffnung ist ja das weihnachtliche Thema schlechthin.

Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Was wollen diese Worte anderes auslösen als Hoffnung? Die Verheissung einer grossen Zukunft für die Menschheit, verkündigt durch einen Engel, begleitet vom Chor der himmlischen Heerscharen.

Doch ich muss gestehen, dass ich in letzter Zeit etwas Mühe habe mit dem Begriff Hoffnung.

Ich glaube, noch nie in meinem Leben wurden Hoffnungen so sehr zerschlagen wie in diesem Jahr. Nicht nur bei mir, ich denke, bei den meisten Menschen. Das Ende der Pandemie schien greifbar zu sein. Doch jetzt ist alles wieder anders, und es ist ungewiss, wie es weitergehen wird. An die Stelle von Hoffnungen sind Befürchtungen getreten. Wie kann ich da jetzt noch von Hoffnung sprechen? Wie können wir hoffen angesichts dieser trüben Aussichten?

Und wie soll ich heute von Freude sprechen angesichts eines wieder eingeschränkten Weihnachtsfestes? Wie soll ich vom Licht sprechen, wenn die Prognosen düster aussehen? Wie soll ich sagen: Fürchtet euch nicht, wenn es doch berechtigten Anlass zu Angst und Sorge gibt? Und wie soll ich Frieden unter den Menschen verkündigen, wenn die verschiedenen Ansichten an vielen Orten Gemeinschaften und sogar Familien spalten?

Ich möchte niemandem die Weihnachtsstimmung verderben. Aber Weihnachten bedeutet nicht, alles zu beschönigen. Machen wir uns nichts vor: Wir leben in einer schwierigen Zeit.

Wie sollen wir mit dieser Situation umgehen? Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen von einem Infektiologen, der sagte, wir sollen nicht mehr das Ende der Pandemie herbeisehnen. Den Tag X, an dem wir unsere Masken wegwerfen und sämtliche Massnahmen für immer aufheben können, wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Hingegen müssen wir lernen, mit der Pandemie zu leben und Strategien entwickeln, um die Situation auf eine gute Art zu bewältigen. Helfen kann uns dabei Demut und Bescheidenheit sowie das Bewusstsein, dass wir es als Gesellschaft nur gemeinsam schaffen können.

Anstatt also auf das grosse Wunder zu warten, das dann wohl doch nicht eintritt, geht es um die Frage: Was kann ich ganz konkret tun, um diese Situation auszuhalten? Was tut mir gut, was brauche ich, um meinen Alltag zu bewältigen? Wie kann ich mich und mein Umfeld am besten schützen? Was kann ich tun, um anderen Menschen beizustehen? Und jetzt ganz konkret: Wie können wir trotzdem auf eine gute Art Weihnachten feiern?

Weihnachten in einer schwierigen Zeit – eigentlich ist das gar nicht so unpassend.

Denn auch Jesus wurde nicht in eine unbeschwerte Zeit hineingeboren. Mitten in der dunkelsten Nacht ist er in einem Stall geboren worden, die Eltern waren unterwegs, ohne feste Bleibe und mussten anschliessend auch noch fliehen. Die ersten Menschen, die von Jesu Geburt erfuhren, waren arme Hirten, die nachts draussen auf dem Feld sein mussten, Menschen am Rande der Gesellschaft. Jesu Geburt war also alles andere als die glorreiche Geburt eines Königs.

Und die Zeiten waren schwierig. Das damalige Palästina war von den Römern besetzt, die Menschen wurden unterdrückt. König Herodes war ein rücksichtsloser Herrscher. Das Volk wartete sehnlichst auf eine Revolution. Es hoffte auf den Messias, der ihnen endlich Befreiung bringen sollte.

Jesus wurde also in eine Welt hineingeboren, die geprägt war von Not und Gewalt. Sein Leben war von Anfang an bedroht und gefährdet. Und wir alle wissen: Es endete dann auch gewaltsam. Wegen seiner Botschaft wurde Jesus ans Kreuz genagelt und starb als Verbrecher.

Es war also eine finstere Zeit. Dazu passt die finstere Nacht, in die Jesus hineingeboren wurde.

Und auch nach seiner Geburt ist die Welt nicht heil geworden. Die Unterdrückung durch die Römer ging weiter, Not und Elend hatten kein Ende. Jesus selber konnte dann später einzelnen wenigen Menschen helfen. Seine Predigten und Gleichnisse, seine Wundertaten, seine Zuwendung zu Ausgestossenen und Notleidenden waren Zeichen des anbrechenden Gottesreiches. Seine Botschaft wurde nach seinem Tod weitererzählt. Der Glaube an seine Auferstehung und seine Zusage: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende hat den Menschen immer wieder Mut gemacht. So können die Zeichen, die Jesus hinterlassen hat, bis heute weiterwirken. Der Glaube, dass in Jesu Geburt Gott selber Mensch geworden ist, trägt uns bis heute und macht es möglich, dass wir eine enge Beziehung zu einem menschlichen, barmherzigen Gott pflegen können.

Und doch: Wir leben nicht in einer heilen Welt.

Mein Vater, der im zweiten Weltkrieg Schreckliches erlebt haben muss, pflegte immer zu sagen: Jesus ist gekommen – aber wo ist nun das Heil, das uns verheissen wurde? Heute würde ich ihm antworten, dass die Weihnachtsgeschichte kein einmaliges Ereignis ist, das vor 2000 Jahren stattgefunden hat. Sie ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart, sie ereignet sich immer wieder, denn ihre Wahrheit ist zeitlos. Sie ereignet sich dann, wenn wir an sie glauben und sie jedes Jahr immer wieder feiern.

Und das bedeutet, auch in schwierigen Zeiten, nicht aufzuhören zu hoffen.

Somit wird Weihnachten auch in einer schwierigen Situation nicht sinnlos, ganz im Gegenteil: Gerade jetzt bekommt Weihnachten seine wahre Bedeutung.

Denn an Weihnachten feiern wir das Licht, das in die tiefste Dunkelheit gekommen ist, wir feiern das „Fürchtet euch nicht“ und die Hoffnung, die auch in schwieriger Zeit nicht aufhört. Weihnachten bedeutet, trotzdem zu hoffen, ja, Weihnachten ist das grosse „Trotzdem“ in den Dunkelheiten und Verwerfungen dieser Welt. Trotz alledem gibt es Anlass zur Hoffnung, dass das Licht die Finsternis durchbricht und dass das Gute, Helle und Schöne trotz allem möglich ist. Wir feiern, dass Gott Mensch, also einer von uns geworden ist. Das bedeutet: Gott ist mit uns, gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit, nicht trotzdem, sondern gerade deswegen. Denn Gott geht mit uns durch alle Unsicherheiten und Schwierigkeiten, durch die Dunkelheiten dieser Welt hindurch.

Es gilt jetzt, das „andere“ zu sehen, das auch noch da ist, jenseits aller Zahlen, Wellen, Massnahmen, Ängste, Sorgen und gesellschaftlichen Verwerfungen. Das Andere, das ist das Göttliche, Transzendente. So wie die Engel aus dem Himmel zu den Hirten gekommen sind, so kann auch bei uns diese andere Sphäre in unserem Leben spürbar werden, wenn wir nur offen dafür sind. Wenn wir nicht aufhören, trotz allem zu glauben und zu hoffen. Und sei es auch nur ganz zaghaft, wie eine Ahnung.

Das Gedicht, das ich vorhin vorgelesen habe, hat mir geholfen, diesen Gedanken zu fassen.

Bezeichnend ist der Titel: Weihnachten, vielleicht. Es geht hier nicht um Gewissheiten, es geht um ein Vielleicht. Es geht um Mut, Sehnsucht, Freiheit und Liebe, welche die Menschen aufbringen, um die Weihnachtsgeschichte erst möglich zu machen.

Und dann heisst es immer wieder: Es könnte doch immerhin sein….  Dass wir ein Teil dieses Friedens werden… dass wir ankommen am heiligen Ort … dass dieses Kind der Träumer einer neuen Welt wird…  dass uns letztlich das wärmt, was wir gaben.

Es könnte doch immerhin sein…  vielleicht…

Es geht hier also nicht um harte Fakten, Zahlen und Daten. Es sind Hoffnungen, Ahnungen, Haltungen, Träume. Es geht darum, etwas möglich zu machen, weil man daran glaubt.

Weihnachten ereignet sich also, wenn wir wagen – wenn wir sehnen – wenn wir glauben – wenn wir lieben – wenn wir hoffen.

Am Schluss heisst es:

Weihnachten ist vielleicht das Wagnis
das Andere zu träumen und zu glauben
und die Hoffnung nicht aufzugeben
in der dunkelsten Nacht.

Eigentlich wollte ich heute über die Hoffnung predigen. Ach, jetzt habe ich es ja doch getan!

Gehen wir also das Wagnis ein, auch an diesem Weihnachtsfest, die Hoffnung nicht aufzugeben. Amen.

Der du die Zeit in Händen hast…

Predigt am 31.12.20/01.01.21 zum Liedtext „Der du die Zeit in Händen hast

Der du die Zeit in Händen hast,/ Herr, nimm auch dieses Jahres Last/ und wandle sie in Segen./ Nun von dir selbst in Jesus Christ/ die Mitte fest gewiesen ist,/ führ uns dem Ziel entgegen.

„Nimm auch dieses Jahres Last…“ – Beim Lesen der Strophen bin ich an dieser Zeile hängen geblieben. In letzter Zeit wird viel davon gesprochen, dass das Jahr 2020 ein schwieriges, belastetes Jahr war. Kein Wunder, stand es doch ganz im Zeichen der Pandemie. Spätestens seit Anfang März hat sie unser Leben durcheinandergebracht. Und auch das Jahresende ist stark von diesem Thema geprägt. Es ist also verständlich, dass häufig gesagt wird, das 2020 sei ein Jahr gewesen zum „Ghüdere“, zum Wegschmeissen, viele Menschen hätten es am liebsten, wenn man es löschen könnte wie ein Text am Computer, die Delete-Taste drücken und dann wäre es für immer vorbei und vergessen. Solche Gedanken sind nachvollziehbar. Das vergangene Jahr stand wohl wirklich nicht unter einem guten Stern.

Und doch möchte ich diesem Jahr nicht unrecht tun. Ich möchte es nicht einfach aus meinem Gedächtnis tilgen. Ich halte es lieber mit dem Liedtext, in dem es heisst: Herr, nimm auch dieses Jahres Last/ und wandle sie in Segen. Auch wenn es Schweres gab in diesem Jahr, wenn wir Belastendes erlebt haben, lohnt es sich doch, zurückzuschauen auf das Jahr 2020 und genauer zu betrachten, was es für uns auch an Gutem bereithielt.

Ich möchte Sie bitten, jetzt einmal zurückzuschauen und kurz über die folgenden Fragen nachzudenken:

  • Welche schönen, aussergewöhnlichen und erfreulichen Ereignisse hielt das Jahr 2020 für Sie bereit? An welche besondere Zeiten, Tage und Momente denken Sie mit glücklichen  Gefühlen zurück?
  • Was an Überraschendem, Neuem, Staunenswertem hat Ihnen diese Zeit beschert? Welche neuen Entdeckungen konnten Sie in diesem Jahr machen? Konnten Sie etwas in einem neuen Licht betrachten? Haben sich neue Gewohnheiten und Alltagsroutinen ergeben, die Sie nicht mehr missen möchten?
  • Welche neuen zwischenmenschlichen Erfahrungen durften Sie machen? Haben Sie erlebt, dass Beziehungen sich vertiefen? Sind Sie aufmerksamer geworden für Ihre Mitmenschen? Waren Sie vermehrt für andere da oder waren andere mehr für Sie da? Haben Sie neue Wege gefunden, trotz Kontaktbeschränkungen Beziehungen zu pflegen?
  • Was haben Sie in diesem Jahr gelernt? Vielleicht haben Sie gelernt, mit dem Unvorhersehbaren umzugehen und kreativ auf neue Situationen zu reagieren? Sind Sie flexibler geworden, wenn es darum ging, umzuplanen, auf etwas zu verzichten? Haben Sie gelernt, das Unabwendbare zu akzeptieren und das Beste draus zu machen? Mussten Sie sich im Loslassen üben und konnten dabei vielleicht auch so manchen Ballast hinter sich lassen?
  • Haben Sie gelernt, das Leben mehr zu schätzen? Sind Sie für die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Lebens aufmerksamer und dankbarer geworden? Haben Sie neue Schönheiten in Ihrem Leben entdeckt?
  • Haben Sie vielleicht auch besonders schwere, mühsame, angstvolle oder traurige Zeiten erlebt; waren Sie selber von Krankheit betroffen oder haben Sie gar jemanden verloren? Haben Sie gelernt, solche Zeiten zu bewältigen? Sind Sie stärker, widerstandsfähiger und auch sensibler, „gpüriger“ geworden? Was hat Ihnen in den dunkelsten Stunden geholfen? Können Sie aus diesen Erfahrungen etwas mitnehmen für ihr weiteres Leben?
  • Haben Sie einen vertierteren Blick auf das Leben bekommen? Haben Sie sich vermehrt auseinandergesetzt mit Themen wie Verletzlichkeit, Krankheit, Sterblichkeit, Tod? Sind Sie dabei den Sinnfragen des Lebens ein Stück weit näher gekommen? Haben Sie einen vertiefteren Zugang zu Glaubensfragen bekommen? Hat Ihre Beziehung zu Gott sich verändert?

Man könnte noch viele solche Fragen stellen. Vielleicht nehmen Sie sich zuhause noch einen Moment Zeit, um dem nachzugehen.

Wir alle haben in diesem Jahr besondere Erfahrungen gemacht, mit denen wir noch vor einem Jahr niemals gerechnet hätten. Und wie unterschiedlich wir auch diese Zeit erlebt haben mögen – eines ist klar: Wir alle haben Aussergewöhnliches bewältigt, und darauf können wir stolz sein!

All das können wir unter das Motto des Liedes stellen:

Der du die Zeit in Händen hast,/ Herr, nimm auch dieses Jahres Last/ und wandle sie in Segen.

Wenn wir all das, was wir erlebt haben, in Gottes Hände legen, kann sich auch das Schwerste in Segen verwandeln.

ZWISCHENSPIEL

Und das neue Jahr? Die Zeit, die noch unberührt vor uns liegt? Wir wissen nicht, was die nächsten 12 Monate bringen werden.

Wir haben ja erlebt, dass viele Pläne und Vorhaben zunichte werden können, dass das Leben, das gerade noch so ruhig und verlässlich verlaufen ist, von heute auf morgen durcheinandergebracht werden kann. Warum sollte es im Jahr 2021 anders sein? Wir leben immer noch in einer höchst ungewissen Situation. Vielleicht haben wir uns inzwischen etwas daran gewöhnen können, so dass das Unvorhergesehene schon fast zur Routine geworden ist. Wohl etwas vom Wichtigsten, das wir im Jahr 2020 gelernt haben ist die Tatsache, dass nichts im Leben wirklich vorhersehbar und planbar ist.

Diese Erkenntnis finden wir bereits im Neuen Testament. Im Jakobusbrief stehen folgende Verse:

Nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen, – und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet. Dagegen solltet ihr sagen: Wenn Gott will, werden wir leben und dies oder das tun.

Der Apostel Jakobus stellte vor fast 2000 Jahren eine Frage, die heute wieder brandaktuell ist, er fragte: „Was ist euer Leben?“ Und dann sagt Jakobus ein hartes Wort: „Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“ Ja, es ist wirklich so: Unser Leben ist begrenzt, vergänglich, zerbrechlich, und gerade daher ist es kostbar. Das haben wir wohl kaum in dieser Deutlichkeit erlebt wie im vergangenen Jahr. Wir können auch mit Plänen unser Leben nicht einfangen und festhalten, und schon gar nicht um eine Minute verlängern. Doch Jakobus geht es nicht einmal so sehr um unsere Vergänglichkeit. Die Frage: Was ist euer Leben? beinhaltet vor allem die Frage nach dem erfüllten Leben. Was ist wirklich wichtig in unserem Leben, was macht das Leben lebenswert und sinnvoll? Können unsere Pläne uns wirklich dabei helfen, erfülltes, sinnvolles Leben zu finden? Und was, wenn diese Pläne durchkreuzt werden?

Was also machen wir, wenn ein Jahr vor uns liegt, das nicht wirklich planbar ist? Jakobus liefert darauf die passende Antwort: Dagegen solltet ihr sagen: Wenn Gott will, werden wir leben und dies oder das tun. – „So Gott will…“ – diesen Spruch sollten wir wohl häufiger sagen, wenn wir etwas planen. So Gott will – das heisst: Wir akzeptieren, dass es auch anders kommen kann und nehmen das aus Gottes Hand, was kommt. Wir können das auch „Gottvertrauen“ nennen.

Denn das konnten wir lernen im vergangenen Jahr: Es kann alles anders kommen – und trotzdem kann es gut kommen. Wir konnten uns eine Reserve an Flexibilität und Gottvertrauen zulegen, um das zu akzeptieren, was ist, und das Beste daraus machen.

Wir konnten dabei erfahren, dass der Boden, auf dem wir stehen, selbst wenn er zeitweise  ins Wanken gerät, uns trotz allem trägt. Sonst wären wir jetzt nicht hier. So Gott will, das bedeutet nichts Geringeres, als all die Ungewissheiten in Gottes Hände zu legen, im Vertrauen darauf, dass Gott auch das Schwierige in Segen verwandeln kann.

So können wir zuversichtlich ins neue Jahr gehen und uns dabei leiten lassen von der letzten Strophe des Liedes:

Der du allein der Ewge heisst/ und Anfang, Ziel und Mitte weisst/ im Fluge unsrer Zeiten:/ Bleib du uns gnädig zugewandt/ und führe uns an deiner Hand,/ damit wir sicher schreiten.

Alles hat seine Zeit

2020-04-12 17.18.27

Schriftliche Besinnung, 26. April 2020

Alles hat seine Stunde.
Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
eine Zeit zum geboren werden und eine Zeit zum Sterben,
eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreissen der Pflanzen,
eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen,
eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,
eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen,
eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz,
eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln,
eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren,
eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,
eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen,
eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,
eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen,
eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden. (Prediger 3, 1-7)

Alles hat seine Zeit. Die Worte aus dem biblischen Buch Prediger sind schon zu geflügelten Worten geworden. Gerade jetzt scheinen sie besonders wahr zu sein.
Wir erleben jetzt eine besondere Zeit. Es wird wohl kaum jemand geben, der diese Zeit nicht später als ganz spezielle Episode in seiner Biografie in Erinnerung behalten wird. „Es war während der Corona-Zeit“, werden wir später über diese Zeit sagen. Es ist eine Zeit, in der so vieles anders ist als sonst. Unser Alltag verläuft nach anderen Regeln als gewohnt.

Alles hat seine Zeit. So ist es immer, in jedem Leben: Es gibt Zeiten der Jugend und des Alters, der Freude und der Trauer, der Krankheit und der Gesundheit, der Aktivität und der Ruhe. Wenn wir auf unser bisheriges Leben zurückblicken, werden wir verschiedene Zeiten erkennen können, in denen das Eine oder das Andere im Vordergrund stand. Unser Leben verläuft nicht gleichförmig.

Und jetzt ist eben nicht die Zeit um zu Reisen, Feste zu feiern oder viele Freunde zu treffen. Dafür gibt es anderes, das ansteht: sich in sein Zuhause zurückziehen, die Herausforderungen des Alltages kreativ meistern, aufmerksam dafür sein, wo jemand Hilfe benötigt und mehr als sonst auf das eigene Wohlbefinden achten. Im erzwungenen Rückzug sehen wir vieles, das vorher selbstverständlich war, mit anderen Augen, richten unsere Kraft auf andere Tätigkeiten, nehmen unsere Mitmenschen anders wahr, lernen Dinge zu schätzen, die wir vorher nicht beachtet hatten. Vielleicht kommen wir auch ins Nachdenken darüber, wie wir die Beziehung zu unseren Mitmenschen gestalten wollen, was Gesundheit für uns bedeutet und was uns in unserem Leben wirklich wichtig ist. Vielleicht werden wir „danach“ vieles anders sehen, Prioritäten neu setzen und unser Leben bewusster gestalten.

Wir alle wissen nicht, wie diese spezielle Zeit noch verlaufen und wie lange sie andauern wird. Doch ich möchte zu dem „Alles hat seine Zeit“ noch ein zweites Bibelwort hinzufügen:

Ich aber, Gott, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen. (Ps. 31, 15 – 16)

Was immer auch kommen mag – es ist gut zu wissen, dass Gott all die Bewegungen unserer Lebenszeit in seinen Händen hält. Wir dürfen auch unsere unruhigsten Zeiten in Gottes Hände legen, wo alles gehalten, geborgen und aufgehoben ist.

Wacht und betet!

Besinnliche Worte zum Karfreitag 2020

Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! (Matthäus 26, 36-41)

Die seelische Not Jesu ist gross in diesem Moment. Er weiss, dass ihm schreckliches Leiden bevorsteht. Er ist überzeugt, dass er sich diesem Leiden stellen muss. Und er stellt sich jetzt auch seiner Traurigkeit und seinen Ängsten. Er läuft nicht vor ihnen davon, sondern bringt sie bewusst vor Gott. Das schafft ihm Erleichterung, auch wenn er weiss, dass Gott diesen Kelch nicht von ihm abwenden kann.
In dieser schweren Stunde braucht Jesus nicht nur das Gespräch mit Gott. Er braucht auch ganz konkret den Beistand seiner Jünger. Doch zu seiner grossen Enttäuschung findet er sie schlafend.

Meine Seele ist zu Tode betrübt. – Es gibt jetzt auch bei uns Menschen, die das von sich sagen können. Menschen, die sich einsam fühlen, die grosse Angst vor einer Ansteckung haben, die in Sorge um Angehörige sind, beruflich mit ihren Kräften an Grenzen stossen, die fürchten, ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren oder denen das Zuhausebleiben in einem engen Umfeld unerträglich wird. Oder sogar Menschen, die erkrankt sind oder einen nahen Mitmenschen verloren haben.

So ergeht der Auftrag „Bleibt hier und wacht mit mir!“ auch an uns. Es gilt, mitfühlend und wachsam zu sein gegenüber dem Leiden unserer Mitmenschen, gerade wenn wir selber etwas weniger schwer betroffen sein sollten von den Schwierigkeiten dieser Zeit.
Denn jetzt kommt ein ganz spezieller Zug des Christentums besonders deutlich zum Ausdruck: Der Gott, von dem uns die Passionsgeschichte Zeugnis gibt, ist ein Gott, der bei den Leidenden ist und sie nicht alleine lässt. Darum sind wir jetzt dazu aufgerufen, zu fragen, was wir in dieser schwierigen Zeit tun können, um füreinander da zu sein.

Gerade jetzt, wo keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr möglich sind, geht es darum, auf andere Art kirchliche Gemeinschaft zu leben. Das ist durchaus möglich, indem wir uns umeinander sorgen, füreinander „wachen und beten“, das heisst also, einander nicht allein zu lassen, auch wenn ein physisches Beisammensein nicht möglich ist. Auch und gerade jetzt kann Kirche zu einem Ort werden, an dem das Wohl der Schwachen im Mittelpunkt steht. Denn die Gemeinschaft aller Christinnen und Christen war schon immer ein unsichtbares Band, das die ganze Welt umfasste. So wie es uns mit Glaubensgeschwistern in der ganzen Welt verbindet, das Unservater zu beten, so kann es eine Art geistliche Energie geben, wenn wir in der Not einander beistehen.
So können wir mit guten Gedanken oder im Gebet, mit Telefonanrufen oder Gesprächen über die Balkonbrüstung, mit konkreten Hilfeleistungen oder Spenden für die Mitmenschen da sein, die uns jetzt brauchen. Seien es die eigenen Eltern oder Verwandte, Nachbarn oder auch unbekannte Menschen weit weg, in anderen Ländern und Teilen dieser Erde.

So ist die Bitte Jesu „Bleibt hier und wacht mit mir“, ausgesprochen in tiefster seelischer Not, ein Appell an uns, nicht zu schlafen, wenn Menschen uns brauchen.
Wenn wir in diesen Tagen dem Leidensweg Jesu gedenken, kann der Gott in uns lebendig werden, der nicht ein ferner Weltenlenker ist, sondern ein Gott, der gerade mit den Leidenden ist und ihnen in tiefster Not beisteht.

Wesentlich werden

Christmas-Nativity-Scene-by-iDrawSilhouettes

Predigt am 25.12.19

Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. (Lukas 2, 7)

Ein schlichter Satz im Lukasevangelium, und doch ein Satz, der wie kaum ein anderer in der Bibel eine grosse Wirkung in der Welt erzeugt hat. Dieser Satz ist wohl der Kernsatz der Weihnachtsgeschichte. Um ihn ranken sich ganze Legenden und Phantasien, wie das wohl gewesen sein muss in jener Nacht im Stall zu Bethlehem.
Die bildliche Darstellung dieses Satzes ergibt das Bild von der Krippe. Die Krippe ist ein fester Bestandteil des Weihnachtsfestes.
Bereits im Jahr 334 liess die römische Kaiserin Helena in Bethlehem über der Geburtshöhle eine Krippe aufbauen. Doch als eigentlichen Erfinder der Weihnachtskrippe gilt Franz von Assisi, der 1223 im italienischen Greccio eine Krippenfeier veranstaltete.
Ab dem 15. Jahrhundert wurden in ganz Italien immer mehr Krippen in Kirchen aufgestellt. Und im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Krippe auch ausserhalb Italiens populär.
Doch was heute als harmloses Kindervergnügen erscheint, war im Zuge der Aufklärung heftig umstritten. Um 1800 wurden in mehreren europäischen Staaten Krippenverbote erlassen. Das führte allerdings erst recht zu deren Verbreitung, weil sie nun vom öffentlichen in den privaten Raum abwanderten. Es entstanden Familienkrippen aus preiswertem Material, wie z.B. Ton oder Papier. Und sie begründeten eine Tradition, die auch weiterging, als nach 1825 alle Verbote wieder aufgehoben worden waren.
Die fantasievoll ausgestalteten Krippenlandschaften wurden zur Bühne für ein immer figurenreicheres Rollenspiel und gehörten damit zu den Vorläufern von Spielzeugeisenbahn, Lego- und Playmobil-Welten. Bis die Krippe schliesslich auch zur Schaufensterdekoration wurde, also zum Rahmenprogramm, das unsere Kauflust anregen soll.
Dabei ist immer mehr in Vergessenheit geraten, dass Krippen ursprünglich Andachtsbilder waren, die zur Vertiefung in das weihnachtliche Geheimnis einladen sollten.

Neulich besuchte ich eine Krippenausstellung. Ich staunte, was ich da alles zu sehen bekam: Krippen aus aller Welt, mit Figuren aus Holz, Terracotta, Ton, Glas, Karton, Stoff  und vielem mehr, angepasst an die jeweilige Kultur, aus der sie stammen. Teilweise ganz schlicht und klein: Maria, Josef, das Kind, allenfalls noch ein Dach darüber. Teilweise aber auch als riesige Dorfszenen: Menschen, die unterwegs sind, Händler, die ihre Ware anbieten, Frauen, die Wäsche waschen mit Kindern an den Rockschürzen, Handwerker in ihren Werkstätten, vollbesetzte Wirtshäuser, Hirten, die ihre Tiere durch die Strassen treiben … und irgendwo, in einer Nische, man sieht es kaum, Maria und Josef mit ihrem Kind. In all dem Strassentreiben scheint die Zeit plötzlich stillzustehen. Wie der Welt entrückt sind sie da und schienen den ganzen Betrieb um sie herum gar nicht wahrzunehmen. Sie scheinen wie aus der Welt und aus der Zeit gefallen zu sein. Und doch gehören sie dazu, zum Treiben dieser Welt und bringen eine ganz andere Dimension in sie hinein.

Doch häufig ist die Krippenszene auf ein Minimum reduziert: Eine Frau, ein Mann, ein Kind, ein Dach über dem Kopf. (so wie auf dem Blatt)
Als ich mir die vielen verschiedenen Krippen so angeschaut habe, ist bei mir die Frage aufgetaucht: Was eigentlich ist es genau, was macht es aus, dass diese so schlichte Darstellung der Krippenszene auf die Menschen eine solche Faszination ausübt, über die Jahrhunderte hinweg?
Beim Betrachten der Krippen fand ich bereits eine Antwort darauf.

Eine Frau, ein Mann, ein Kind. Sie haben gerade ihr erstes Kind bekommen. Sind dadurch vom Paar zu einer Familie geworden. Ein neuer Mensch wurde ihnen geschenkt, und beide schauen fasziniert und dankbar auf dieses Wesen. Diese drei Menschen bilden eine Keimzelle des Menschseins.
Beim Betrachten dieser Szene bekommt man das Gefühl, als existierten in diesem Moment nur diese drei Menschen. Eine Aussenwelt gibt es nicht. Keine anderen Menschen, keine Häuser. Kein Lärm, keine Hektik, kein geschäftiges Treiben. Kein Kaiser Augustus, keine römischen Soldaten. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Nur dieser Moment zählt, nur diese drei Menschen sind hier, die soeben das Wunder des Lebens erfahren haben.
Und das, was diese Menschen haben, ist das Allerwenigste. Ein einfaches Dach über dem Kopf. Ein notdürftig hergerichtetes Bett für das Kind. Mehr nicht. Es spielt in diesem Moment keine Rolle, dass man nur in einem Stall ist und das Bett des Kindes gerade eben noch ein Futtertrog für die Tiere war. Sie haben genau das, was sie in diesem Moment zum Leben brauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Es scheint ihnen zu genügen. Das Bild drückt keine Not aus, sondern gerade in dieser Schlichtheit eine tiefe Geborgenheit.
Hier ist alles auf das Allerwesentlichste beschränkt. Eine Frau, ein Mann, ein Kind, ein einfaches Dach darüber, ein Bettchen für das Kind. Die Dunkelheit, die die kleine Familie umgibt, wirkt nicht bedrohlich wie sonst, sondern birgt sie wie eine schützende Hülle. Über dieser Szene liegt eine Aura von Reinheit und Zartheit. Hier ist eine Oase der Stille und Sanftheit in der sonst so hektischen, manchmal auch gewaltvollen Welt.
In vielen Krippendarstellungen sind auch noch Tiere dabei, ein Ochse und ein Esel, wichtige Nutztiere der damaligen Zeit. Die kleine Familie befindet sich in enger Gemeinschaft mit ihren Mitgeschöpfen, welche Zeugen des Geschehens sind. Diese Tiere gehörten damals zum Leben der Menschen, man brauchte sie, um wirtschaften und sich fortbewegen zu können.
Später kommen noch die Hirten und die Schafe dazu. Einfache Menschen mit denen ihnen anvertrauten Tieren, die schauen wollen, welches Wunder sich hier ereignet hat und sich mitfreuen. Und über allem steht ein Stern. Das Transzendente, Himmlische, Göttliche bricht über diese so einfache Szene herein. Manchmal ist sogar noch ein Engel dabei, ein himmlischer Bote. Daran sehen wir: Es ist nicht ein normales Kind, das da geboren wurde. Es ist ein göttliches Kind, ein himmlisches Ereignis, das sich da vollzogen hat. Das Himmlische, Göttliche ist in das Irdische, Einfache und Schlichte hereingebrochen.

Was ist es nun also, das uns an diesem Bild so fasziniert? Es ist mehr als die blosse Darstellung irgendeiner Geschichte. Das Bild, so schlicht es auch sein mag, hat etwas Mystisches, tief Religiöses an sich, es strahlt eine Heiligkeit aus und weckt andächtige Gefühle. Und ich glaube, das ist nicht nur, weil wir es von Kindheit an gewohnt sind und mit dem Weihnachtsfest verbinden. Es lenkt unseren Blick vielmehr auf das, worauf es wirklich ankommt. Diese Situation, in ihrer Reduktion auf das Wesentliche in Stille und Geborgenheit, hat etwas urtümlich Menschliches an sich. Eine Frau, ein Mann, ein Kind, ein Dach darüber, die Gemeinschaft mit den Mitgeschöpfen – mehr braucht es nicht. Und gerade in diese Schlichtheit bricht das Himmlische, Göttliche herein. Es bleibt nicht beim Menschlichen, Irdischen. Gott kommt dahin, wo wir am meisten Mensch sind. In die ganz einfachen, existenziellen Situationen unseres Alltages. Das Bild von der Krippe lenkt unseren Blick auf das, worauf es in Wirklichkeit ankommt, auf das Allerwesentlichste. In der Komplexität dieser Welt, im Lärm, in der Hektik und Geschäftigkeit der Welt kommt Gott hinein, kommt dorthin, wo es einfach, arm und still zugeht, dorthin, wo wir ihn am meisten brauchen. Gott kommt ins Wesentliche und hilft uns, selber wesentlich zu werden.
Und damit ist die Weihnachtsbotschaft auf wunderbare Weise auf den Punkt gebracht. Mehr brauchen wir nicht, um sie zu verstehen. Denn diese Botschaft kann wohl letztendlich nicht intellektuell mit dem Kopf verstanden werden. Sie trifft uns an dem Punkt, wo wir ganz Mensch sind. Und genau da lässt sie das Göttliche in unser Leben einfliessen.
Der Botschaft vom Kind in der Krippe werden wir am ehesten gerecht, wenn wir uns dem Krippenbild andächtig zuwenden wie in dem Lied von Paul Gerhardt:

Ich steh‘ an deiner Krippe hier,
o Jesu, du mein Leben;
ich komme, bring‘ und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel‘ und Mut, nimm alles hin
und laß dir’s wohl gefallen.

Folge deinem Stern!

2018-12-30 09.25.54

Predigt zu Matthäus 2, 1-12, gehalten am 06.01.19, Dreikönigstag

Die Heiligen Drei Könige – sie gehören in jede Weihnachtskrippe und zu jeder Weihnachtserzählung. Es gibt viele Traditionen über sie: Oftmals ist noch ein Farbiger dabei, um die verschiedenen Kulturen und Kontinente darzustellen; auf manchen Darstellungen sind sie auch verschiedenen Alters – ein junger Mann, einer mittleren Alters und ein Betagter.

Doch eigentlich wissen wir nicht viel über diese Menschen, die durch einen Stern zu Jesus gefunden haben sollen. In der Bibel ist keineswegs die Rede von Königen, auch nicht von drei Personen. Je nach Übersetzung lesen wir von Sterndeutern aus dem Morgenland, oder von Weisen, die aus dem Osten kommen, manchmal werden sie auch als Magier bezeichnet. Alles andere ist spätere Tradition. Die Dreizahl kommt wahrscheinlich daher, dass die Drei eine heilige Zahl ist. Und die Deutung, dass die drei Männer Könige sind, kommt wohl von der Vorstellung, dass sogar Könige vor dem Messias niederfallen und ihn anbeten, wie es im Alten Testament erwähnt ist.

Von den Heiligen 3 Königen gibt es sehr viele Darstellungen in der Kunstgeschichte. In den vielen Abbildungen sieht man, wie sie auf Pferden oder Kamelen dem Stern folgen. Noch häufiger sind Bilder, auf denen sie im Stall zu Bethlehem das Jesuskind anbeten, zum Teil sogar auf Knien, und ihm ihre Geschenke überbringen.

Heute habe ich ein Bild mitgebracht, auf dem die Heiligen 3 Könige in einer sehr aussergewöhnlichen Situation dargestellt werden.

Es handelt sich hierbei um ein Relief, das im Münster von Autun im Burgund zu sehen ist. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert und wurde von einem Künstler namens Gislebertus erschaffen.

Bei dieser Darstellung liegen die drei Könige im Bett. Das bezieht sich auf den Bibelvers, in dem es heisst, ein Traum habe sie angewiesen, nach ihrem Besuch in Bethlehem nicht zu König Herodes zurückzukehren. Auf dem Relief wird das so dargestellt, dass ein Engel den drei Königen im Traum erscheint und ihnen die Nachricht Gottes überbringt.

Dieser Engel drückt eine faszinierende Mischung aus Sanftheit und Entschlossenheit aus: nur zart berührt er den obersten König am kleinen Finger, doch mit grosser Entschlossenheit zeigt er auf den Stern oben rechts im Bild. Trotz seiner Zartheit spürt man auch einen starken Impuls, mit dem der Engel den König auf die Dringlichkeit seiner Mission aufmerksam macht. Der erste König hat die Augen geöffnet, ist also durch den Engel wach geworden, während die anderen noch schlafen.

Die Botschaft des Engels ist wirklich sehr dringend: Schliesslich geht es um das Leben des Jesuskindes. Der Engel macht die Könige darauf aufmerksam, dass sie auf keinen Fall zu Herodes zurückkehren sollen, sondern unbedingt weiter dem Stern folgen! Der Stern weist ihnen auch weiterhin den richtigen Weg. Glücklicherweise kommt die Botschaft an, und die Könige ziehen auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück.

Die Bildhauerarbeit des Gislebertus erzählt die Geschichte vom Stern zu Bethlehem weiter. In der Geschichte, die uns dieses Relief erzählt, sagt der Engel zu den Königen: Passt auf, seid wachsam und verliert euren Stern nicht aus den Augen! Glaubt nicht, schlafen zu können, weil ihr meint, am Ziel angekommen zu sein. Geht euren Weg weiter und orientiert euch am Stern, um auch weiterhin den richtigen Weg zu finden!

Der Stern von Bethlehem ist überhaupt ein sehr schönes Motiv der Weihnachtsgeschichte: Ein Stern weist den Menschen, die den Heiland suchen, den Weg und bleibt über dem richtigen Ort stehen. Es ist ein Stern, der Licht bringt und den Menschen auf ihrem Weg leuchtet.

Der Stern bringt nicht nur Licht, sondern er weist darauf hin, was entscheidend und wichtig ist. Er steht für ein besonderes Ziel und weist den Weg dorthin.

In Grunde genommen hat jeder Mensch so einen Stern. Ich meine damit die Pläne und Ziele, die jeder und jede verfolgt. Jeder hat seinen eigenen Weg, um seine Ziele zu verwirklichen. Es gibt Menschen, die haben zum Ziel, möglichst reich zu werden. Andere streben nach einem Beruf, der Spass macht und ihnen Erfüllung bringt. Wiederum andere möchten etwas tun, das anderen Menschen hilft, sie möchten sich einsetzen für eine bessere Welt. Andere versuchen, sich in einer künstlerischen Betätigung persönlich zu entfalten. Oder ihr Ziel ist Erfolg im Leistungssport. Es gibt auch Menschen, die einfach nach persönlicher Erfüllung streben, die im Einklang mit sich selber und ihrem Umfeld, vielleicht auch mit Gott leben wollen.

Jeder Mensch muss seine eigenen Ziele finden, sie können sich im Laufe eines Lebens auch verändern. Bei einem jungen Menschen sehen sie sicher anders aus als bei einem alten. Doch es ist das ganze Leben hindurch wichtig, dass ein Mensch Pläne und Ideen hat, dass er weiss, was er will und wohin er möchte.

Die Frage ist, woran man sich beim Verfolgen seiner Ziele orientiert. Menschen, die z.B. viel Geld zum Ziel haben, orientieren sich an Börsenkursen, überlegen, wie sie eine Karriere machen können, die besonders viel Geld bringt. Wer eine erfüllende Tätigkeit sucht, orientiert sich an seinen Neigungen und Fähigkeiten. So hat jedes Ziel auch seinen eigenen Weg. Jeder muss im Leben seine eigenen Ziele finden, und dazu jeweils auch die Wege, die dorthin führen.

Ich lade Sie jetzt dazu ein, sich selber zu fragen:

  • Was ist mein persönlicher Stern? Was ist wichtig und entscheidend in meinem Leben?
  • Was für Ziele habe ich, im Leben insgesamt und in meiner momentanen Lebenssituation?
  • Wie finde ich überhaupt meine Ziele? Woran orientiere ich mich dabei? Habe ich einen Stern, der mir leuchtet oder tappe ich im Dunklen?
  • Kenne ich den Weg, der zum Ziel führt und gehe ich ihn entschlossen, oder irre ich wie in einem Labyrinth umher?
  • Nehme ich auch mal Umwege in Kauf, wenn sie zum Ziel führen?
  • Bleibe ich bei meinen gewählten Zielen oder ändere ich sie immer wieder, noch bevor ich sie erreicht habe?
  • Gibt es auch Ziele, die ich mit der Zeit aufgeben muss, weil sie sich als unerreichbar oder gar als sinnlos herausgestellt haben?
  • Und: Welche Rolle spielt Gott oder mein Glaube beim Verfolgen meiner Ziele?

Es ist gut, sich hin und wieder mal mit solchen Fragen auseinanderzusetzen.

Ebenso wichtig wie die Frage nach den Zielen ist die Frage, woran wir uns orientieren, welcher Stern uns den Weg leuchten soll. Denn wir müssen auch darauf achten, dass wir uns nach dem richtigen Stern ausrichten. Es gibt auch falsche Wegweiser, falsche Eingebungen oder falsche Anweisungen von aussen.

Der Engel in der Geschichte sagt: Seid wachsam, schaut, worauf es ankommt, und geht den richtigen Weg! Sein Erscheinen ist gleichzeitig auch eine Warnung. Denn beinahe wären die Könige den falschen Weg gegangen. Um ein Haar hätten sie sich einspannen lassen in die mörderischen Pläne des Herodes. Ebenso gibt es auch in unserer Zeit Heilslehren, Ideologien, Weltanschauungen oder gar Verführungen, denen blind zu folgen gefährlich sein kann. Darum ist es wichtig, dass wir dem richtigen Stern folgen.

Was kann unser Stern sein? Wie können wir ihn finden? Was hilft uns, unsere Ziele zu finden, wichtige Entscheidungen zu treffen und den richtigen Weg einzuschlagen?

Die Antwort darauf muss jeder Mensch für sich selber finden. Für viele Menschen ist der Glaube eine wichtige Quelle. In Gebet, in der Zwiesprache mit Gott, in der Stille, im Bibelstudium, im Gottesdienst oder in Gesprächen mit anderen Menschen ist es möglich, Orientierung für wichtige Entscheidungen im Leben zu finden. Manche Leute nennen das auch Intuition, sie folgen ihrem Herzen oder ihrem Bauchgefühl. Viele finden – wie auf dem Bild – in ihren Träumen Wegweisungen und Erkenntnisse für ihr Leben.

Ich glaube, dass Gott uns hilft, Entscheidungen zu treffen und den richtigen Weg zu finden. Wichtig ist, dass wir wachsam sind für das, was Gott uns sagen will. Dass wir Gottes Wegweisungen mit offenen Ohren und Augen begegnen, anstatt sie zu verschlafen, wie die beiden anderen Könige im Bild.

Was auch immer Ihre Art sein wird, Ihre Ziele und Wege zu suchen: Ich wünsche Ihnen ganz besonders für das kommende Jahr, dass Sie diese mit Gottes Hilfe auch finden werden.

 

 

 

Die Lücke

Predigt am 25.11.18, Ewigkeitssonntag, Gedenken an die Verstorbenen

Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen; man muss es einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein grosser Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott fülle die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt, und hilft uns dadurch, unsere echte Gemeinschaft miteinander – wenn auch unter Schmerzen – zu bewahren. Ferner: Je schöner und voller die Erinnerungen, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht mehr als einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich. (Dietrich Bonhoeffer)

Der Stuhl, auf dem er immer gesessen hat, ist jetzt leer.

Sie hatte immer ein so schönes Lachen.

Im Altersheim sah man ihn oft in der Eingangshalle sitzen, er war immer zu einem Schwatz aufgelegt.

Sie hat immer für alle so gut gekocht.

Seine Stimme im Chor ist nun verstummt.

Sie hat die Familie zusammengehalten. Jetzt sehen wir uns viel weniger.

Am Abend sassen wir immer zusammen auf dem Balkon.

Im Verein, am Stammtisch bleibt sein Platz leer.

Wir haben immer zusammen gejasst.

Er konnte so gute Witze erzählen.

Ihre Geige wird nicht mehr gespielt.

Ich habe ihn liebevoll gepflegt, jetzt habe ich keine Aufgabe mehr.

Bei fast jedem Todesfall kann man solche oder ähnliche Aussagen hören. Die Verstorbene ist nicht mehr da, sie fehlt von nun an; dort, wo sie gewesen ist, klafft eine Lücke, es tut sich ein Loch auf, dessen Leere uns schmerzlich bewusst wird.

„Der Weggang des Verstorbenen reisst in unser Leben eine Lücke, die wir nicht mehr werden füllen können.“ – So oder ähnlich sage ich es bei fast jeder Beerdigung.

Und so ist es auch: Der Tod eines Angehörigen beschäftigt uns nicht nur, weil sein Leben beendet wurde, manchmal auch für unser Empfinden zu früh. Es ist auch das Gefühl der Leere, des Fehlens, das uns Mühe macht. Wir müssen unser Leben ohne diesen Menschen weiterführen. Und auch wenn die Verstorbene nicht mehr aktiv im Leben stand und nicht mehr wichtige Aufgaben in Familie oder Beruf erfüllte, ruft dieser Weggang bei uns ein Gefühl von Mangel und Leere hervor.

Denn jeder Mensch, unabhängig von seinem Alter, ist Teil von Beziehungen. Unser Leben ist ärmer geworden, wenn ein nahestehender Mensch von uns geht. Der Platz, den dieser Mensch in unserem Leben eingenommen hat, sei es als Ehefrau/Ehemann, Vater oder Mutter, als Tochter oder Sohn, Grossvater, Urgrossmutter, als Schwester oder Bruder, als Verwandte, Freund, Kollegin oder Nachbar wird von nun an leer bleiben. Darum ist es nicht übertrieben zu sagen: In unser Leben wurde eine Lücke gerissen.

Diese Lücke ist nicht einfach nichts. Wir spüren sie, oftmals auch sehr schmerzhaft. Die Lücke macht uns bewusst, was fehlt. Es ist wie eine offene Wunde, die nicht mehr zu verheilen scheint.

Eine Lücke strebt danach, geschlossen oder ausgefüllt zu werden. Doch jeder Versuch, diese Lücke zu füllen, ist zum Scheitern verurteilt. Wir können den verstorbenen Menschen nicht mehr zurückholen, können ihre Anwesenheit, seine Stimme, ihren Charakter oder das, was er für uns getan hat, nicht mehr herbeiholen. Er lässt sich auch nicht durch andere Menschen vollständig ersetzen. Dieser Mensch in seiner Einzigartigkeit ist nicht mehr da. Auch die Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt kann den Verlust nicht wirklich aufwiegen. Die Lücke bleibt offen.

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem Text das Empfinden dieser Lücke sehr gut beschrieben. Er sagt ganz klar: Ein verstorbener Mensch ist unersetzlich. Nichts kann diese Lücke ausfüllen. Man soll auch gar nicht versuchen, sie irgendwie auszufüllen. Man muss sie eben gerade unausgefüllt lassen. Sogar Gott lässt sie unausgefüllt. Auch wenn es schmerzhaft ist, und das sagt Bonhoeffer ganz klar, ist dies wichtig. Man muss es einfach aushalten und durchhalten, auch wenn das hart klingt. Denn gerade durch diese unausgefüllte Lücke bleiben wir mit den Verstorbenen verbunden. Die Lücke hilft uns, unsere echte Gemeinschaft miteinander zu bewahren.

Das klingt paradox: Wie sollen wir gerade durch eine offene Lücke mit den Verstorbenen verbunden sein? Doch Bonhoeffer warnt sogar davor, die Lücke irgendwie füllen zu wollen.

Es gibt Menschen, die versuchen, die Lücke verzweifelt zu füllen: z.B. mit übertriebenen Aktivitäten; man stürzt sich ins Leben, als gäbe es kein Morgen. Man erstickt seinen Schmerz mit Arbeit oder übertriebenem Konsum. Man nimmt sich keine Zeit, um nachzudenken und zu spüren, sondern lenkt sich ab, gibt der Trauer keinen Raum in seinem Leben.

Doch da gibt es auch das Umgekehrte: Man versucht die offene Lücke zu füllen mit Trauer. Man kann nicht aufhören, an den Verstorbenen zu denken, die Wohnung ist voll von Gegenständen und Bildern, die an ihn erinnern. Die Urne ist vielleicht sogar zuhause aufgestellt, oder die Grabpflege ist zur täglichen Hauptbeschäftigung geworden. Andere Dinge und Menschen haben im Leben keinen Platz mehr. Wenn man auch Monate nach dem Todesfall nicht aufhören kann, so intensiv zu trauern, bedeutet das, nicht loslassen zu können. Man hält krampfhaft fest am Schmerz, will den Verstorbenen nicht wirklich gehen lassen, kann einfach nicht akzeptieren, dass er nicht mehr da ist.

Beides sind untaugliche Versuche, die Lücke zu füllen: Die Trauer verdrängen oder krampfhaft an ihr festhalten.

Gesunde Trauer, wie es Bonhoeffer versteht, sieht anders aus: Wir sollen und dürfen wieder am Leben teilnehmen, wir dürfen auch wieder fröhlich sein und lachen, uns anderen Dingen zuwenden, Neues beginnen – vielleicht auch eine neue Partnerschaft eingehen, sich Menschen suchen, um die man sich kümmern kann, neue Jasskollegen suchen und vieles mehr. Doch dies alles im Bewusstsein, dass die Lücke einfach immer da ist. Jeder Mensch, der jemanden verloren hat, trägt eine solche Lücke in seinem Herzen. Es geht darum, sie wahrzunehmen, ohne sie krampfhaft ausfüllen zu wollen. Sich dem Schmerz zu stellen, ohne sich von ihm übermannen zu lassen. Sich dem Leben zuzuwenden, ohne die Verstorbene zu vergessen. Gesunde Trauer bedeutet: zu lernen, mit dieser Lücke zu leben, sie offen halten, ihr Raum geben. Denn gerade wenn sie leer und offen bleibt, kann sie sich mit Inhalt füllen.

Bonhoeffer spricht von der Dankbarkeit. Dafür, dass man diesen Menschen kennen durfte, dass man viele schöne Stunden und Zeiten mit ihm erleben durfte, Dankbarkeit für alles, was dieser Mensch einem gegeben hat oder was man ihm selber geben durfte, Dankbarkeit für das gemeinsame Leben.

Zur Dankbarkeit möchte ich die Liebe hinzufügen. Man hört nicht auf, einen Menschen zu lieben, nur weil er gestorben ist. Und man muss auch nicht aufhören, sich von ihm geliebt zu fühlen. Die Liebe bleibt, denn sie ist stärker als der Tod.

Schliesslich sind es die schönen Erinnerungen an gemeinsam gelebtes Leben, an gute Begebenheiten, vielleicht auch nur an Augenblicke, die gut und stimmig waren.

Die Dankbarkeit, die Liebe und die Erinnerungen können die Qual der Trennung in eine stille Freude verwandeln. Dann trägt man das vergangene Schöne nicht mehr als einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.

Es klingt widersprüchlich: Man soll die Lücke unausgefüllt lassen, erst dann kann sie ausgefüllt werden mit etwas Kostbarem. Ich versuche mir das so vorzustellen: Wie ein Loch im Asphalt, in dem plötzlich eine Blume wächst. Nur durch dieses Loch ist es möglich, dass da etwas wachsen kann. Wenn wir also die Lücke in unserem Herzen bewusst offen halten, dann besteht die Chance, dass darin etwas wachsen und erblühen wird.

So lasst uns weitergehen durch unser Leben als Menschen mit einer offenen Lücke in unseren Herzen. Lasst uns offen bleiben, damit das kostbare Geschenk aus Liebe, Dankbarkeit und schönen Erinnerungen in uns wachsen und blühen kann. Gott wird uns dabei helfen. Amen.

Was ist der Mensch?

 

Predigt am 16.09.18

Gott, wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:  Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? (Ps. 8, 4-5)

„Was ist der Mensch?“

Eine schwierige Frage. Man kann dieses Thema von verschiedenen Seiten her angehen. Wir können den Menschen betrachten aus biologischer Sicht: Wie ist der Körper des Menschen aufgebaut und wie funktioniert er? Oder psychologisch: Wie funktioniert die Seele des Menschen? Was geht in seinem Inneren vor? Oder evolutionsbiologisch: Der Mensch hat sich aus dem Affen entwickelt. Wie hat ihn das geprägt? Historisch: Man untersucht den Verlauf der Menschheitsgeschichte. Kulturhistorisch: Welche verschiedenen Kulturen gibt es, wie haben sich diese entwickelt? Soziologisch: Man untersucht das Verhalten der Menschen untereinander.

Das sind nur einige Beispiele, wie man sich der Frage: Was ist der Mensch? annäheren kann. Alle Zugänge haben ihre Richtigkeit, alle betrachten den Menschen aus einer bestimmten Perspektive heraus. Will man eine umfassende Antwort auf diese Frage finden, muss man möglichst alle Perspektiven auf den Menschen berücksichtigen. Uns interessiert heute in diesem Gottesdienst natürlich vor allem der biblische Zugang zu dieser Frage: Welche Antworten liefert die Bibel? Welches Menschenbild vertritt die jüdisch-christliche Tradition?

So werfen wir einmal einen Blick in die Bibel, und zwar dorthin, wo von den Anfängen, der Schöpfung des Menschen gesprochen wird. Es gibt ja zwei Schöpfungsberichte, die verschieden über die Erschaffung des Menschen erzählen. Im ersten Schöpfungsbericht hört sich das so an:

Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei…Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (Gen. 1, 27)

Im zweiten Schöpfungsbericht heisst es: Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. (Gen. 2,7)

Was sagen uns diese beiden Verse zur Frage: Was ist der Mensch?

Der zweite, ältere Schöpfungsbericht sieht das so: Der Mensch ist aus Erde gemacht, d.h. er ist ein Teil der Erde. „Du bist Erde und wirst zu Erde werden“, heisst es an späterer Stelle. Der Name Adam kommt vom Wort Adamah, und das heisst Erdboden.

Doch der Mensch ist nicht nur Materie, er ist mehr als das. Nachdem Gott den Menschen aus Erde geformt hat, bläst er ihm seinen Atem in die Nase. Erst so kann der Mensch ein lebendiges Wesen werden.

Im anderen Schöpfungsbericht wird das nicht so plastisch beschreiben, es heisst da nur: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, als Wesen, das ihm gleich ist.

Was bedeutet das nun für das Menschenbild? Erstens: Wir tragen Gottes Atem in uns; das, was uns lebendig macht, kommt direkt von Gott. Ein Teil von Gott ist ständig in uns und erhält uns am Leben. Zweitens: Wir sind Gottes Ebenbilder, wir sind Gott gleich.

Und diese Feststellung gilt für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Herkunft, Religion, Kultur, Fähigkeiten, moralischem Verhalten, Weltanschauung, Entwicklungsstand, Veranlagungen und Lebenssituation. Alle Menschen sind gleich, jeder Mensch, der auf dieser Erde lebt ist Gottes Ebenbild.

Von diesem Gedanken sind auch die Menschenrechte abgeleitet, die von dem Grundsatz ausgehen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Begriff der Menschenwürde und die Gottebenbildlichkeit sind eigentlich das gleiche, einmal weltlich und einmal religiös ausgedrückt.

Bevor wir den Gedanken weiterspinnen, schauen wir doch auch noch ins Neue Testament.

Jesus hat den Gedanken eingeführt, dass Gott unser Vater ist. Das bedeutet nichts anderes als: Wir sind Gottes Kinder, Gottes Töchter und Söhne. Im 1. Johannesbrief heisst es:

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Wir sind also nicht nur Gottes Ebenbilder, wir sind seine Töchter und Söhne. Das bedeutet, dass wir Anteile von Gott in uns tragen. So wie ein Mensch die Gene seiner leiblichen Eltern in sich trägt, so haben wir Teile von Gott in uns. Man könnte auch sagen: Einen göttlichen Funken oder einen göttlichen Kern. Es bedeutet nichts anderes als: Gott ist in uns. Tief in uns drin sind wir Gott. Wir Menschen sind göttlich. Und zwar alle.

Das ist ein schöner, aber auch ein schwieriger Gedanke. Wenn ich mir manche Menschen so ansehe, fällt es mir schwer, zu akzeptieren, dass wirklich alle göttlich sein sollen. Ich denke z.B. an die Menschen, die gegen Flüchtlinge demonstrieren und dabei rufen: „Lasst sie ersaufen“. Oder auch nur, wenn ich Kommentare in den sozialen Medien lese, die andere Menschen aufs unflätigste weit unter der Gürtellinie angreifen und diffamieren.

Solches Verhalten ist ganz und gar nicht göttlich. Es ist auch nicht menschlich, sondern zutiefst unmenschlich. Es fällt uns schwer, sich vorzustellen, dass auch Menschen, die sich unmenschlich verhalten, einen göttlichen Kern in sich tragen sollen.

Dagegen ist es einfacher, schnelle Urteile zu fällen. „Das Monster“ ist eine oft gesehene Schlagzeile, wenn jemand ein besonders grausames Verbrachen begangen hat. Der Mörder von Rupperswil, der 4 Personen grausam umgebracht hat. Oder der Vater, der seine Tochter 24 Jahre lang in ein Kellerverlies gesperrt hat, sie immer wieder vergewaltigte und die daraus gezeugten Kinder ebenfalls im Verlies aufwachsen liess. Solche Taten sind grauenhafte Verbrechen, darüber gibt es nichts zu diskutieren. Und doch müssen wir sagen: Auch diese Menschen sind keine Monster. Es sind Menschen wie du und ich. Menschen, die wie alle anderen auch einen göttlichen Teil in sich tragen, auch wenn wir Mühe haben, uns das vorzustellen. Und wenn wir das konsequent weiterdenken: Also auch ein Hitler, ein Stalin, ein Bin Ladin, Menschen die schreckliches Unheil angerichtet haben, sind und bleiben Menschen, auch wenn sie abgrundtief böse Taten begangen haben. Es ist schwer für uns, das zu akzeptieren. Viel einfacher ist es, jemanden als Monster abzutun, der nichts Menschliches und erst recht nichts Göttliches an sich hat. Wir trennen solche Menschen damit von uns ab und müssen uns nicht mehr damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die zu bösem fähig sind, ja, dass eigentlich jeder Mensch je nach Situation zum Bösen fähig ist. Wir können dann einfach behaupten, dass diese Taten mit uns schlicht nichts zu tun haben, denn die Täter waren ja keine Menschen.

Doch nicht jeder Mensch ist ein Schwerverbrecher. Grundsätzlich gilt es, zwischen dem Menschen an sich und seinem Verhalten zu unterscheiden. Wir können die Taten eines Menschen verurteilen, ohne jedoch seine Menschlichkeit, also auch Gottebenbildlichkeit anzuzweifeln. Denn Gottes Ebenbild zu sein bedeutet eben nicht automatisch, ein perfekter und moralisch untadeliger Mensch zu sein. Das wissen wir alle.

Denn der göttliche Kern ist nicht einfach offensichtlich. Er ist oftmals verschüttet und tief verborgen hinter einer dicken Schicht, die wir uns im alltäglichen Leben angeeignet haben, einer Kruste aus Gewohnheiten, Neid, Unsicherheit, Hochmut, Neurosen und Egozentrik. Doch der innerste göttliche Kern bleibt. Und wenn wir diesen in jedem Menschen zumindest vermuten, dann kann es uns vielleicht gelingen, den Anderen anzunehmen wie er/sie ist, auch mit den Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten, mit allen Unterschieden und dem, was uns voneinander trennt.

Und auch mich selber kann ich besser annehmen, wenn ich den göttlichen Kern in mir selber sehen kann. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – das bedeutet nichts anderes, als im Nächsten und in sich selber den göttlichen Anteil wahrzunehmen und zu würdigen.

Denn manchmal gibt es Momente, in denen das Göttliche durchschimmert, in denen wir etwas erahnen können vom Göttlichen im Anderen und in uns selber. Wenn Begegnungen und menschliches Miteinander gelingen, wenn wir menschlich aneinander handeln, wenn wir vergeben können, wenn Versöhnung möglich wird, wenn wir den Anderen trotz seines Andersseins oder seiner Schuld als Mensch sehen und behandeln können, wenn wir unsere eigene Göttlichkeit spüren und die unseres Gegenübers aufleuchten lassen können. Dann sind wir in der Liebe. Und die Liebe kommt von Gott; Gott selber ist die Liebe.

So schliesse ich mit den Worten aus dem 1. Johannesbrief: Gott ist die Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.